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Subheadline: Der US-Arzt William Brown kam 1957 als Austauschschüler – Die Freundschaft mit den Rösslers hält bis heute
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23.01.2015

(23.01.2015) Osnabrück. Manche Freundschaften begleiten Menschen über Jahre, andere ein ganzes Leben lang. Manchmal werden sie sogar mehr als das: Freunde werden zu einer zweiten Familie. Seit nunmehr 58 Jahren pflegt der US-Amerikaner William Brown eine solche Beziehung zu Deutschland, zu Osnabrück und ganz besonders zur Familie Rössler. Der 74-Jährige, der auf Hawaii lebt, engagiert sich sogar für die Osnabrücker Bürgerstiftung.

Im Sommer 1957 kam „Will“ Brown als Austauschschüler aus dem Bundesstaat Kansas nach Osnabrück – eine Erfahrung, die sein Leben verändern sollte. „Die ersten (und alle anderen) Tage bei Familie Rössler waren außergewöhnlich“, schreibt Brown in einer ausführlichen und offenherzigen E-Mail. Ein paar Sätze verfasst er auf Deutsch, als gebürtiger Amerikaner zieht er es jedoch vor, auf Englisch zu schreiben – zu lange her ist seine Zeit als Austauschschüler in Deutschland, um die Sprache noch perfekt zu beherrschen.

In seinem zweiten Jahr an einer Junior High School (sie entspricht der deutschen Sekundarstufe I) entschied sich der heute 74-Jährige für den Austausch und lebte daraufhin für drei Monate bei den Rösslers als seiner Gastfamilie. „Ich war augenblicklich zu Hause bei meiner neuen Familie in Osnabrück“, erinnert er sich. Es sei reiner Zufall gewesen, dass der Amerikaner gerade den Rösslers zugeteilt wurde – doch es sollte sich als ausgesprochen glücklicher Zufall erweisen. Sprachbarrieren gab es von vorneherein keine. Sein Gastvater Heinz, den er liebevoll „Papi“ nennt, fand es sogar praktisch, die Gedanken in der eigenen Muttersprache auszudrücken. So würde das Zuhören und Verstehen leichter fallen – ein grundsätzliches Verständnis der jeweils anderen Sprache vorausgesetzt.

Heinz Rössler und „Mutti“ Erica mit den Söhnen Heiner, Frieder und Peter dürfte vielen Osnabrückern als Spezialisten für hochwertige Strickwaren bekannt sein: Vor seiner Abreise bekam Will damals einen marineblauen Strickpullover der Marke „H.P. Rössler“ geschenkt. Er trägt ihn auch nach 58 Jahren noch häufig und urteilt: „Erste Qualität!“

Glückliches Osnabrück

Bei seinem ersten Besuch in der, wie er schreibt, „deutschen Stadt mit den glücklichsten Menschen“ sind ihm vor allem die Herzlichkeit seiner Gastfamilie und die Freunde, die er kennenlernen durfte, in besonderer Erinnerung geblieben. „Es ist wie selbstverständlich, dass er dazugehört“, beschreibt Gastbruder Peter Rössler seine immer noch währende familiäre Freundschaft zu Will.

 Auf einer Party lernte Will Brown damals auch Stefanie Hetlage, heute Schindhelm, kennen. Ihre Familie hatte ebenfalls einen Austauschschüler zu Gast. Schindhelm ist heute Vorstandsmitglied der Osnabrücker Bürgerstiftung und Projektleiterin der Aktion „Kinderwünsche“. Als Will von dem Projekt erfuhr, schrieb er Familie und Freunde an, um Geld zu sammeln. In zwei Jahren kamen rund 2000 Euro zusammen. Sogar einen eigenen Namen hat der Ruheständler der Aktion für seine Freunde in den USA verpasst: „SSNPSCWSA“ als Kurzform für „Stefanie Schindhelm North Pole Santa Claus Work Shop Annex“, was sich mit „Stefanie-Schindhelm-Anbau der Nordpol-Werkstatt des Weihnachtsmannes“ übersetzen lässt. 

„Ich betrachte ihn selbst als Schwager“, sagt Schindhelm über Brown. Sie habe den Gast aus den USA als sensiblen, unheimlich weltoffenen und hilfsbereiten Menschen erlebt. Ihr späterer Mann Malte lebte mit seiner Mutter Lotte – Erica Rösslers Schwester – im Haushalt der Rösslers. Das machte Will, oder „Bill“, wie sie ihn nannten, zum fünften Bruder.

Aber auch die Stadt Osnabrück selbst hat ihre Eindrücke bei William Brown hinterlassen, insbesondere der schöne und mit Bedacht getätigte Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Von dieser städtebaulichen Entwicklung, zwölf Jahre nach dem Krieg bis heute, konnte sich der Amerikaner mehrmals selbst überzeugen. „Fünfmal oder öfter“ hat Will die Stadt und Region mittlerweile besucht, das letzte Mal 2013. Seine Lieblingsorte in Osnabrück sind aber immer noch die Häuser der Mitglieder „seiner Familie“. Im Gegenzug besuchte diese ihn auch schon mehrfach in den USA, darunter in New York, Washington und auf Hawaii.

„Hanai-Familie“

Dass der Amerikaner von „seiner Familie“ spricht, ist nicht bloß ein Ausdruck von Zuneigung und Verbundenheit. Will lebt auf Hawaii und ist begeistert von hawaiianischer Sprache und Brauchtum. Die Familie Rössler wurde deshalb kurzerhand nach hawaiianischem Brauch zu seiner „Hanai-Familie“. Der Begriff „hanai“ bezeichnet die Tradition, Menschen informell und losgelöst vom Alter, als Kinder adoptieren zu können. Neben seiner deutschen „Hanai-Familie“ hat Will eine leibliche Tochter und seit November ein Enkelkind. Sein Leben auf der Pazifikinsel teilt er sich mit seinem Partner Doug. Seit neun Jahren leben die beiden Männer in einer Beziehung.

Von seiner Zeit in Osnabrück bis zu seinem Ruhestand auf Hawaii hat Will einige interessante Stationen durchlaufen. Gebürtig stammt er aus Kansas im Herzen der USA. Dort begann er Medizin zu studieren. Seine Ausbildung schloss er in Los Angeles und New York ab. Brown diente als Soldat in der US-Navy und arbeitete als medizinischer Berater im kriegszerrissenen Vietnam und später in der Hauptstadt Washington. Jahrelang lebte er in New York und war für die größte Kinderhilfsorganisation der Stadt, der Children’s Aid Society, tätig. Nicht verwunderlich also, dass die Aktion „Kinderwünsche“ seine Aufmerksamkeit erregte.

Vom AFS vermittelt

Alles begann aber mit dem Besuch in Osnabrück, die seinerzeit vom American Field Service (AFS) vermittelt wurde. Eine „lebensverändernde Erfahrung“, schreibt der Wahl-Hawaiianer, die seinen Horizont erweitert, seine Toleranz gesteigert und sein Leben bereichert habe. Für die US-Austauschorganisation, die heute unter dem Namen „AFS Interkulturelle Begegnungen“ aktiv ist, ist er noch immer als Mitarbeiter tätig und reiste schon nach Japan, Südafrika und zum Weltkongress der Organisation in Thailand.

 Aktuell schreibt Will an seinen Memoiren, die sich nicht zuletzt mit seinem Outing befassen und anderen Homosexuellen Mut machen soll. Der nur schwer übersetzbare Arbeitstitel, der diesen Wunsch widerspiegelt: „Out there… finally! – Coming Out there, being out there, staying out there. A personal owner’s manual for non-heterosexual individuals“. 

Fand in Osnabrück eine zweite Familie: William „Will“ Brown (links) mit seinem Gastbruder Peter Rössler. Brown war 1957 als amerikanischer Austauschschüler in Osnabrück, die Erfahrung veränderte sein Leben. Bis heute hält er den Kontakt zur Familie Rössler. Foto: privat

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung vom 23.01.2015
 





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