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Subheadline: Familie Alzarzour setzt auf regelmäßigen Kontakt zu einheimischen Familien – Tandem-Projekt „Familientreffen“.
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28.12.2016

(28.12.2016) Roula Alzazour (29), ihr Mann Said (33) und ihre Kinder hatten das Glück, nach ihrer Ankunft in Osnabrück schnell in Kontakt zu Einheimischen zu kommen. Ihre positiven Erfahrungen möchte die junge Familie aus Syrien gerne an andere Neubürger weitergeben und stieß gemeinsam mit Exil – dem Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge – das Tandem-Projekt „Familientreffen“ an.

Roula und Alin Alzarzour bei der diesjährigen Weihnachtsfeier des Osnabrücker Flüchtlingshilfevereins „Exil“. Hier trafen rund 250 Einheimische und Neubürger zusammen und feierten ein friedliches Fest mit strahlenden Kinderaugen.
Foto: Angela von Brill


Als Kontingentflüchtlinge gelangten Roula und Said Alzarzour und ihre Kinder Ahmad (10) und Hanin (6) vor zweieinhalb Jahren per Flugzeug aus dem Libanon in die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Ein Jahr nach ihrer Ankunft, der 15 Tage Aufenthalt im Erstaufnahmelager für Asylsuchende in Bramsche-Hesepe folgten, erblickte ihre heute anderthalbjährige Tochter Alin das Licht der Welt.

„Wir sind froh und dankbar, heute in Frieden in unserer neuen Heimat Osnabrück leben zu können. In unserer alten Heimatstadt Damaskus musste unser ältester Sohn hautnah miterleben, wie sein eigener Cousin getötet wurde. Bis heute schreckt er davon Nacht für Nacht schweißgebadet hoch“, schildert die gelernte Kinderkrankenschwester, die mit ihrer Familie anderthalb Jahren Bürgerkrieg ausgeliefert war.

Der erste Kontakt zu Einheimischen kam zustande, als Roula Alzarzour zum dritten Mal schwanger wurde. Erika und Peter, ein Ehepaar aus Osnabrück, spendeten der jungen Familie ein Babybett und einen Babystuhl. Man begegnete sich von Beginn an ohne Vorurteile, hielt Kontakt und verbringt seitdem in unregelmäßigen Abständen gemeinsame Freizeit.

„Wir waren schon zusammen auf dem Spielplatz, im Schwimmbad und im Zoo, essen manchmal gemeinsam und treffen uns regelmäßig im „Café International“ des Exil-Vereins. Auch der gemeinsame Tannenbaumkauf mit Erika und Norbert ist eine Unternehmung, der unsere Kinder jedes Jahr entgegenfiebern“, berichtet die junge Muslimin.

Im Alltag hat ihre Familie Kontakt zu weiteren einheimischen Familien, verbessert durch den täglichen Umgang wie selbstverständlich ihre Deutschkenntnisse und nimmt gezielt an Sprachkursen teil. Aus der dadurch früh gegebenen Anerkennung kam Said Alzarzour (gerade hat der Familienvater seinen Führerschein gemacht) auf die Idee, die eigenen Erfahrungen in einem Begegnungs- und Austauschprojekt weiterzugeben.

 Mit Unterstützung der ehrenamtlichen Helferin Sarah Bhatti machte sich die hauptamtliche Exil-Mitarbeiterin Tatjana Giese daran, das neu ins Leben gerufene Tandem-Projekt „Familientreffen“ zu koordinieren. „Unser Ziel ist es, dass einheimische und geflüchtete Familien voneinander lernen. Persönliche Begegnungen schaffen Toleranz und bauen auf beiden Seiten bestehende Vorurteile ab. Wenn es gut läuft, entsteht so eine Freundschaft, aus der gefühlt eine Familie wird, in der die Einheimischen teilweise die Funktion der Großeltern übernehmen“, schildert Tatjana Giese.

Im Mai dieses Jahres schickte die Projektverantwortliche einen ersten Aufruf zum Mitmachen an interessierte Familien, aber auch kinderlose Paare, Patch-Work-Familien und andere Lebensentwürfe raus. Aufgrund der großen Resonanz folgte im gleichen Monat ein erstes Infotreffen für deutsche Familien. Kennenlernen einzelner Familien-Tandems im Beisein von Exil-Mitarbeitern und Ehrenamtlichen schlossen sich an.

Bei anfänglichen Sprachbarrieren half Initiator Said Alzarzour. In den meisten Fällen verselbstständigten sich die angestoßenen Kontakte jedoch schnell. Aufgrund des anhaltenden Interesses seitens der geflüchteten Familien sind in Zukunft regelmäßige Treffen geplant, um einheimische Familien über das Alltägliche hinaus auch für die weitere Unterstützung zu qualifizieren – etwa durch die Vermittlung von Basiswissen zu sozialen Fragen.

„Von den insgesamt zehn zum Projektstart aufgenommenen Familien aus ganz unterschiedlichsten Berufsfeldern und Schichten wurden inzwischen 8 Tandems erfolgreich vermittelt. Neben 7 syrischen Familien knüpfte auch eine Familie aus dem Irak Kontakt zu Einheimischen. Vor Kurzem haben wir via Tageszeitung und Soziale Netzwerke einen neuen Aufruf gestartet, auf den sich abermals 3 Familien meldeten“, zieht Tatjana Giese Bilanz.

„Besondere Voraussetzungen zur Teilnahme gibt es nicht. Das Projekt ist offen für alle, die Interesse an gegenseitigem Austausch und an Begegnungen haben. Wenn sich Interessierte bei uns melden schauen wir uns kurz die Familienstrukturen an. Außerdem achten wir bei der Verkupplung auf möglichst nahegelegene Wohnorte, ähnliche Interessen und das Alter eventueller Kinder“, so die Exil-Mitarbeiterin.

Dass keineswegs nur die Neubürger vom Austausch mit deutschen Familien profitieren können, lässt ein Blick auf Roula Alzarzours Facebook-Seite „Syrischer Nachtisch“ erahnen. Auch für ihre Back- und Kochkünste von Baklava (ein in Sirup eingelegtes Gebäck, das man mit gehackten Wallnüssen, Mandeln oder Pistazien füllt), Halawetel Jibn (libanesische Süßspeise aus Mozarellakäse), Schabiyat (gefüllte Blätterteigtaschen mit Pudding), Knafeh (Orientalische Engelshaarpastete) oder Ma´amoul (arabische Dattelkekse) erfährt die sympathische Syrerin viel Anerkennung.

„Ein Zukunftstraum wäre, uns mit einem eigenen kleinen orientalischen Café oder Bistro selbstständig zu machen. Ein noch viel sehnlicherer Wunsch wäre jedoch, meinen Eltern und meinen beiden Schwestern helfen zu können. Sie leben seit 5 Monaten in Idlib nahe der türkischen Grenze im Nordwesten Syriens. Gerade jetzt im Winter weinen sie viel, frieren, haben kein Geld, kein Essen, keine Papiere und viele weitere Probleme“, sagt Roula Alzarzour sichtlich betrübt.

Selbst in Deutschland angekommen fühlen sich viele syrische Familien auf sich alleingestellt. Zu tief sitzt die Angst auch hier noch aus politischer Überzeugung verraten zu werden oder Menschen zu begegnen, die in der Flüchtlingshilfe einfach nur ein lukratives Geschäft sehen.

Die diesjährige Weihnachtsfeier von Exil spiegelte jedoch einmal mehr die positive Seite gegenseitiger Offenheit und Akzeptanz wider: Im brasilianischen Restaurant „Planeta Sol“ kamen 250 Menschen zusammen – darunter hundert Kinder, denen dank Sponsoren wie der Bürgerstiftung Osnabrück kleine Wünsche im Wert von bis zu 20 Euro erfüllt werden konnten.

Roula und Said Alzarzours Kinder Ahmad und Hanin strahlten am Abend mit dem Osnabrücker Weihnachtsmann Uwe Hallenga („der Echte mit Bart und Bauch“) über 2 Spielzeugflugzeuge. Die anderthalbjährige Alin packte mithilfe ihrer Eltern ein rosa Kleidchen aus, das sie mit einem begeisterten „Wow!“ kommentierte. Und auch beim gemeinsamen Singen deutscher, englischer und arabischer Weihnachtslieder spürte wohl jeder, wie schön und stimmungsvoll Weihnachten sein kann, wenn man erst einmal miteinander in Berührung kommt.

ON 28.12.2016 (von Johanna Kollorz)






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